janglemaus

Momente meiner Reiselust

Auf der anderen Seite ist der Löwenzahn viel höher

Es war einmal…

ein kleines, blau-weißes Kaninchen namens Jangle. Sie war vielleicht nicht das schönste und klügste Kaninchen auf der Welt, aber sie war zufrieden mit sich. Klar, ihr Fell war nicht mehr das schönste und es verlor auch mit der Zeit immer mehr an Glanz, aber das gehört wohl zum älter werden dazu. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, aber auch an ihr gingen die Jahre nicht spurlos vorbei. Der Lebenskampf hat das kleine Kaninchen geschwächt, und obwohl es nicht sehr alt war, hatte es schon viele Narben und Wunden, die sie allerdings nicht weniger sehenswert machten. Im Gegenteil: das machte ein wahres Kämpferherz doch erst aus. Es zeigt nur, dass sie nach jeder Niederlage wieder aufgestanden ist und dass sie sich nicht in ihrem Bau versteckt hatte.

Lange Zeit war Jangle ein unbeschwertes Kaninchen. Sie hüpfte fröhlich durch die Gegend, machte neue Bekanntschaften und erweiterte ihren Horizont. Sie scheute sich nicht, andere Kaninchen oder Waldbewohner in ihren Bau zu lassen, denn wie sollte sie sonst mit anderen lachen, wenn sie sich nur in ihrem Bau einschließen würde? Sie glaubte daran, dass niemand von Natur aus böse sei und dass niemand mit Absicht andere verletzen wollte.

Doch leider wurde sie über die Jahre hinweg eines Besseren belehrt. Sie musste feststellen, dass nicht jeder Gut und sie wohl doch zu naiv war. Sie hatte über die Jahre zu spät erkannt, wer ihr Gutes und wer ihr Böses tun wollte und so zog sie sich in dieser Zeit viele Narben zu, die sie schwächten. Nicht jeder meinte es gut mit ihrem reinen Herz.

Deshalb wurde sie schnell ausgenutzt und weggeworfen, sobald man sie nicht mehr brauchte. Die Enttäuschungen, die sie durchlitt, verletzten sie sehr und so oft sie es auch versuchte, sie konnte damit nicht umgehen. Sie konnte nicht verstehen, wie man so sein kann.
Eines Tages kam das kleine Kaninchen auf die Idee, einen Verschlag um ihren Bau herum zu bauen. So konnte sie endlich die bösen Geister von sich fernhalten und wäre von nun an sicher. Es machte sich also auf den Weg, um den härtesten Stein für die Wände, das massivste Holz für das Dach und den stärksten Stahl für die Türe zu finden. Es dauerte viele Monde, bis sie den Verschlag endlich fertiggestellt hatte, aber letztendlich war es sicher: niemand kann von nun an einfach so hereinkommen und das kleine Kaninchen verletzen. 

Niemand konnte es mehr zerreißen, Niemand würde ihr jemals wieder weh tun oder sie ausnutzen können. Sie konnte sich nun endlich mit ihren Büchern zurückziehen und sich in eine Welt verkriechen, die weitaus schöner war, als es die Realität je sein könnte. Denn wie sagt man so schön: „Bücher sind fliegende Teppiche ins Reich der Fantasie“ – und in ihrer blühenden Fantasie fühlte sie sich wohl.

Doch als sie alle Bücher gelesen hatte, die sie in ihrem Bau besessen hatte, wurde es ihr mit der Zeit doch langweilig. Das kleine Kaninchen las manche Geschichten zwei-, dreimal und konnte schon jedes Wort auswendig. Ab und zu hüpfte es durch die Gegend und zählte jeden Hops, den es tat. Es aß aus Langeweile, aber es wusste nichts mehr mit sich anzufangen.

Eines Nachts überdachte sie den Bau ihres Verschlags noch einmal – hatte sie es vielleicht übertrieben? Es war ja schön zu wissen, dass sie nun in Sicherheit wäre, doch was sollte sie plötzlich mit ihrem Leben anfangen?

Ja, der Verschlag gab ihr Schutz und Sicherheit vor allem Bösen, niemand konnte dem kleinen Kaninchen etwas anhaben. Niemand konnte sie verletzen oder gar enttäuschen – und genau das wollte sie doch… oder?

Doch dem Kaninchen wurde erst jetzt richtig bewusst, dass der Verschlag auch eine Schattenseite hatte, denn nichts und niemand konnte mehr hereinkommen, um mit ihr zu lachen, zu hüpfen oder es zu wärmen. Plötzlich wurde es dem kleinen Kaninchen ganz kalt ums Herz und es fühlte sich auf einmal sehr einsam und allein.

So schaute das kleine Kaninchen immer wieder nur kurz durch das Schlüsselloch, hinaus in die große Welt. Es wollte sich vergewissern, dass sie das Richtige getan hatte, als sie diesen großen Verschlag um sich gebaut hatte. Sie sah viele verschiedene Gestalten umherwandern. Einige waren geduckt und allein, andere wiederum sprangen gemeinsam über Stock und Stein, unerschrocken und gestärkt vom jeweiligen anderen.

Sowas wollte das kleine Kaninchen doch auch. Einen Kameraden an ihrer Seite. Jemanden, mit dem man Pferde stehlen konnte und mit dem man gemeinsam viele Abenteuer erleben konnte. Ihr wurde klar, dass sie wohl nicht auf ewig in ihrem Verlies eingesperrt bleiben möchte.

Doch… wo hatte sie den Schlüssel vergraben? Sie hatte damals nicht richtig aufgepasst. Sie war sich ja so sicher, dass sie niemals wieder einen Schritt durch die dicke Stahltüre machen würde.

Geknickt verkroch sich das kleine Kaninchen wieder in ihrem Bau und widmete sich ihren schon zigmal gelesenen Büchern. Da es ihr immer noch sehr kalt zumute war, zündete sie sich ein kleines Feuer in ihrem Bau an.

Zur selben Zeit, am selben Ort, kam ein kleines, einsames Eichhörnchen angerannt, das gerade einer vom Baum gefallenen Nuss hinterherrannte. Es hatte schon einen weiten Weg hinter sich gelassen und würde sich über etwas Gesellschaft freuen.

Auf einmal sah das Eichhörnchen Rauch aus einem Schornstein quellen und wurde somit auf den Verschlag des kleinen Kaninchens aufmerksam.

Es fragte sich, was es wohl mit diesem Verschlag auf sich hatte und wer sich wohl darin verbergen mag. Neugierig wie Eichhörnchen nun mal von Natur aus sind, kletterte es zaghaft die Wände hinauf und schaute durch den rauchenden Schornstein hinunter.

Obwohl das Eichhörnchen das kleine Kaninchen nicht sah und auch nicht hörte, und nur ahnen konnte, was für ein Wesen sich im Bau befinden würde, fühlte es eine starke Bindung zu ihr.

Es kroch den Schornstein hinunter und machte vor einem kleinen Loch im Boden halt. Lange Zeit betrachtete das Eichhörnchen den Bau von oben und war sich nicht sicher, ob es hineingehen oder doch lieber warten sollte, bis sich das unbekannte Wesen von allein ans Tageslicht trauen würde. Da dachte sich das Eichhörnchen, ‚ach, wenn es schon einmal hier ist, dann könne es ja mal ein wenig von sich erzählen'.

Tage- und nächtelang stand das Eichhörnchen einfach nur da und redete. Es erzählte dem Bau von seinem Leben, von seiner erfolgreichen Suche nach einer Nuss, von seiner Familie. Es erzählte die lustigsten, aber auch die traurigsten Dinge, die dem Eichhörnchen bis dahin widerfahren waren. 

Das Eichhörnchen verstand sich darin, seine Geschichten so lebhaft zu erzählen, dass der Zuhörer das Gefühl hatte, wirklich dabei gewesen zu sein. 

Das kleine Kaninchen hatte schon längst ihre Bücher beiseitegelegt und hörte dem Eichhörnchen aufmerksam bei seinen Erzählungen zu. Es erfreute sich an jeder lustigen Erzählung und konnte endlich wieder herzhaft lachen. Bei den weniger lustigen Geschichten schluchzte das kleine Kaninchen. Ihr wurde bewusst, dass diese Erzählungen viel besser waren als irgendeines ihrer verstaubten Bücher.

Eines Tages wagte das kleine Kaninchen einen Schritt aus ihrem Bau. 

Es schaute das Eichhörnchen ganz verschüchtert an und erklärte ihm, dass es auch hinaus in die weite Welt möchte, dass es Abenteuer erleben und einen Wegbegleiter finden möchte. Das Kaninchen erklärte dem Eichhörnchen auch, dass sie die Langeweile und das eintönige Leben satthätte, aber dass es keine Ahnung hätte, wie es aus ihrem Verlies entkommen könne. 

So fasste das Eichhörnchen den Entschluss, dem kleinen Kaninchen zu helfen. Es wollte ihr Retter in der Not sein und entpuppte sich als gar nicht mal so blöde, denn es beschloss, einen Ausgang zu buddeln. Sie seien ja schließlich beide fürs Buddeln gemacht, von daher sollte es ja ein Kinderspiel für sie sein. 

Gesagt, getan. Und so fing das Kaninchen auf ihrer Seite des Verschlags an zu buddeln und das Eichhörnchen auf der anderen Seite. Sie wollten sich in der Mitte treffen, um dann gemeinsam in die weite Welt hinaus zu spazieren. Ein Kinderspiel sah zwar anders aus, aber letztendlich schafften sie es gemeinsam in die Freiheit.

Ihrem gemeinsamen Abenteuer stand nun nichts mehr im Wege und so Vertraute das kleine Kaninchen dem Eichhörnchen von Anfang an blind. Doch bevor sie ihren Bau auf ewig verlassen würde, packte es noch kurz ihre sieben Sachen zusammen. Ihren kleinen Teddybär, den sie schon immer zum schmusen hatte, konnte sie nicht einfach so im Bau zurücklassen und so wurde er zum Begleiter ihres gemeinsamen Abenteuers.

Das Eichhörnchen und das kleine Kaninchen verbrachten viele schöne Tage miteinander und wurden durch ihre vielen, kleinen Erlebnisse immer vertrauter.

Das kleine Kaninchen verliebte sich unsterblich in das flinke Eichhörnchen und es wollte für immer bei ihm bleiben, denn dank ihm hatte sie endlich wieder neuen Mut gefasst und sich in ein neues Abenteuer getraut. Sie hatte alles hinter sich gelassen, um mit ihm eine ganz andere Welt zu entdecken. Das Kaninchen empfand plötzlich Dinge, die es bis dahin noch nie empfunden hatte und freute sich jeden Abend auf einen neuen, gemeinsamen Tag. Es hatte das Gefühl, ihre alten Wunden, die einst von der grauenhaften Welt verursacht wurden, heilten mit jedem Tag ein bisschen mehr. 

Ihr neuer Wegbegleiter gab ihr endlich ihre Unbeschwertheit und ihre Lebensfreude zurück. Eines Tages kreuzte ein Wolfrudel ihren Weg. Sie seien auf Schatzsuche und wollten als erste an dem neu versteckten Schatz sein. Sie seien schon den ganzen Morgen unterwegs und auch schon völlig aus der Puste. Das kleine Kaninchen und das Eichhörnchen verstanden nur Bahnhof und konnten dem Wolfsrudel nicht ganz folgen. Sie schauten sich irritiert an, als das Wolfsrudel ihnen erklärte, dass lauter kleine Schätze auf dieser Welt versteckt seien und es benötigte nur etwas Mut und eine Landkarte, um sie bergen zu können. Beide waren hellauf begeistert und wollten natürlich nichts wie los auf Schatzsuche. Sie wollten gemeinsam so viele Schätze wie möglich bergen. 
So kam es, dass dies zu einem festen Bestandteil in ihrem Leben wurde.

Jede noch so kleine Schatzsuche wurde zu einem wunderschönen Abenteuer und schweißte die beiden nur noch enger zusammen. Sie wurden ein eingespieltes Team und konnten trotz unterschiedlicher Gattung und Größe denselben Schritt halten.

Auch wenn ihnen viele Steine in den Weg gelegt wurden und nicht jeder Tag Sonnenschein bot, so waren sie sich sicher, sie könnten es mit jeder Hürde aufnehmen und nichts und niemand könnte sie trennen. 

Doch wie das Leben nun mal so spielt, war alles viel zu schön, um wahr zu sein. Letztendlich wurden Sie eines Besseren belehrt… 

Als das kleine Kaninchen ihr geliebtes Plüschtier bei einer ihrer gemeinsamen Reisen verlor, wurde es wahnsinnig. Es hatte es doch so sehr geliebt und es könnte sich nicht vorstellen, dass es nun plötzlich nicht mehr bei ihr ist. Sie hatte es doch nur für ein paar Sekunden aus den Augen gelassen.

Das kleine Kaninchen nervte das Eichhörnchen mit ihrer Trauer, die sie Tag für Tag mehr auffraß. Doch egal wie schlecht es dem Kaninchen dadurch ging, das kleine Eichhörnchen konnte mit derartigen Gefühlen nichts anfangen, schließlich war es ja nur ein Plüschtier gewesen.

Es nervte das Eichhörnchen mit ihrer Laune so lange, bis es zu einem bösen Streit zwischen den beiden kam. Das Kaninchen wollte doch nicht viel, nur etwas mehr Zuneigung, weil es sich plötzlich ohne das geliebte Kuscheltier so einsam fühlte. Die kalte Art des Eichhörnchens machte es für das Kaninchen nicht besser und so beschloss es, ihn erstmal in Ruhe zu lassen.

Traurig und völlig in ihren Gedanken gefangen, hoppelte das kleine Kaninchen durch die Gegend.

Warum hatte es auf ihr Plüschtier nicht besser aufgepasst? Es war doch ihr Liebling gewesen, ihr treuer Begleiter. Warum konnte das Eichhörnchen denn nicht verstehen, dass es ihr am Herzen lag?

Das Kaninchen war so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass es die Grube vor sich nicht wahrnahm und hineinfiel. Mit einer Kralle konnte es sich gerade noch so am Rande festhalten. Es rief verzweifelt nach dem Eichhörnchen, es bat ihn um Hilfe.

Dieser nahm zwar den Ruf wahr, doch wollte endlich vom kleinen Kaninchen in Ruhe gelassen werden. Deshalb ignorierte das Eichhörnchen die Hilferufe. Es sagte sich, hätte das kleine Kaninchen nicht so genervt, dann müsse es jetzt nicht um Hilfe rufen. Das alles sei ja nicht sein Problem, er ist ja kein Superheld, sondern ein normales Nagetier ohne Superkräfte. Es ist doch nicht auf die Welt gekommen, um andere zu retten und hätte ja genug mit sich selbst und seinem Kampf, um die Nüsse zu tun.

Es kam also wie es kommen musste: das Eichhörnchen beschloss, das kleine Kaninchen für immer zu verlassen.

Es wollte doch keine dumme Gans, die ihr eigenes Leben nicht im Griff hat. Man könne dem Eichhörnchen doch nicht vorwerfen, er hätte etwas Falsches getan. Was hätte er denn tun sollen?

Das ganze Theater wurde dem Eichhörnchen zu viel und so baute er sich schon nach kurzer Zeit ein neues Leben auf. Die Schatzjagd, die er auf keinen Fall aufgeben wollte, betrieb er schon nach kürzester Zeit mit einer kleinen, roten Katze, die er zufällig auf einer seiner Wanderungen traf.

Kurzum: das Eichhörnchen fand schnell neue Gesellschaft und tauschte das Kaninchen für etwas Neues ein, das ihm frischen Wind gab.

Derweil hielt sich das kleine Kaninchen noch immer tapfer mit einer Kralle am Grubenrand fest. Sie hatte ihren Lebensgeist noch nicht ganz aufgegeben. Doch die Sache erschien ihr aussichtslos, wenn ihr nicht sehr bald jemand zu Hilfe eilen würde.

Dem Abgrund nahe fand sie schließlich eine helfende Hand bei einem streunenden Esel und einem kleinen naiven Einhorn.

Gemeinsam schafften sie es, das Kaninchen vor dem Abgrund zu bewahren und fortan befand es sich in der beiden Obhut.

Als das kleine Kaninchen ihre Geschichte mit dem Eichhörnchen Revue passieren ließ, verstand sie plötzlich wieder, warum es damals den Verschlag um ihren Bau gebaut hatte und wie dumm sie doch gewesen war, als sie dem Eichhörnchen blind vertraute. Sie hätte nicht gedacht, dass er sie allein am Abgrund hätte hängen lassen – oder hatte er ihre Rufe nur einfach nicht gehört?

Das kleine Kaninchen fühlte sich lange Zeit sehr krank und wusste nicht so recht, was es hatte. Es empfand weder Freude noch hatte es Hunger – es irrte einfach umher. Irgendwann wurde ihr bewusst, dass die Schmerzen, die sie spürte, nicht aus irgendeiner Wunde kamen, sondern dass dieser Schmerz tief in ihr drin war: es war ihr Herz, das blutete und unendlich weh tat.

Auch wenn ihre Narben noch sichtbar und ihr gebrochenes Herz nicht vollständig geheilt war, fing das Kaninchen – dank ihrer neuen Freunde – an, das Leben wieder zu lieben,

Ihre neuen Freunde erzählten ihr ihre Leidensgeschichte und wie trotz Herzschmerz das Leben meistern konnten. Sie fühlte sich in ihrer Obhut Schritt für Schritt besser, aufgehoben und sicher – aber nicht wirklich glücklich.

Was auch immer das kleine Kaninchen tat, am Ende des Tages dachte sie immer wieder an ihr Eichhörnchen. Sie wollte doch nur wissen, wie es ihm geht. Die Monate vergingen, doch das Kaninchen konnte ihr Eichhörnchen einfach nicht vergessen. 

Sie vermisste nicht nur ihn sondern auch ihre gemeinsamen Abenteuer, denn ihre anderen Freunde konnte sie damit leider nicht begeistern. 

Es vergingen viele Monde und das kleine Kaninchen hatte sich an ihr eintöniges Leben gewöhnt. Ihr kleines Herz tat zwar noch immer weh und auch ihr geliebtes Plüschtier hinterließ noch immer eine große Lücke, doch das kleine Kaninchen dachte immer weniger an ihr Eichhörnchen und die gemeinsamen, erlebten Abenteuer. Als es endlich wieder neue Kraft und neuen Mut hatte, traute das Kaninchen ihren Augen nicht: vor ihrem Bau, der zwar einen Drahtzaun, aber keinen Verschlag mehr hatte, saß das kleine Eichhörnchen und starrte es an. 

Das Eichhörnchen erklärte ihr, dass es in letzter Zeit viel an sie gedacht hatte und dass es sie vermisse, sie und ihre kleinen Ausflüge in die weite Welt. Doch sein Herz sei nicht frei, es gäbe da noch eine Eule in seinem Leben. Er wüsste nicht so recht, wem sein Herz nun gehört, denn er könne ja nicht zwei Wesen gleich lieben. Das kleine Kaninchen fragte sich zwar, wieso das Eichhörnchen dann wiederaufgetaucht sei, wenn es sich nicht sicher war, doch insgeheim machte es sich wieder Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft. 
Sie trafen sich nun wieder regelmäßig, sprachen über ihre Vergangenheit, welche Fehler sie begingen und das Eichhörnchen versprach, er würde besser auf sie und das Band, das zwischen ihnen sei, aufpassen. Er wolle es hüten wie einen Schatz. Genau das war es nämlich: ihr größter Schatz.

Das Kaninchen zeigte nun wieder einmal, wie naiv es sein kann, denn auch wenn es letztendlich ängstlich war, glaubte es dem Eichhörnchen wieder und vergab ihm, dass er sie allein im Loch gelassen hatte.

Das Kaninchen war wieder Feuer und Flamme und wollte jede freie Minute mit dem Eichhörnchen verbringen. Ihr Leben machte plötzlich wieder einen Sinn und so freute sie sich jeden Abend auf einen Sonnenuntergang. Sie erlebten eine noch viel schönere und intensivere Zeit als zuvor, das Kaninchen blühte förmlich auf und erfuhr Gefühle, die es bisher nicht einmal in Worten beschreiben konnte. Sie genossen einfach ihre Zeit zusammen – und somit wurde das Kaninchen blind vor Liebe und vergaß die Wesen, die ihr einst das Leben gerettet hatten. 

Sie vergaß, wer an ihrer Seite war, als es ihr schlecht ging und verlor somit einen Teil ihres neuen Freundeskreises.

Sie hatte es sich zum Ziel gemacht, jeden noch so kleinen Wunsch des Eichhörnchens von seinen Lippen abzulesen. Es war sich für nichts zu schade und für alle Schandtaten bereit.

Kein Berg war zu hoch, keine Höhle zu klein, kein Fluss zu breit für das kleine Kaninchen. Kurzum: sie waren einfach ein eingespieltes Team und sie versuchte das Eichhörnchen bei jeder seiner Taten so gut es ging zu unterstützen.

Andere Wesen, die sie auf ihrer Reise trafen, beneideten die beiden, denn sie hatten sich etwas aufgebaut, von dem andere nur träumen konnten.

Auch wenn das kleine Kaninchen nicht perfekt war und auch ihre Launen hatte, so war es doch ein treuer Wegbegleiter und jemand, mit dem man Pferde stehlen konnte.

Je mehr sich das kleine Kaninchen bemühte, desto weniger Interesse zeigte das Eichhörnchen an ihr – außer seiner Schatzjagd gab es für ihn nichts mehr. Das kleine Kaninchen allein reichte ihm plötzlich nicht mehr aus, es fehlte ihm immerzu der frische Wind.

Kurz gesagt, es fehlten ihm einfach neue Abenteuer. Er konnte nicht sagen, ob er einen neuen Wegbegleiter brauchte oder eine neue Umgebung, doch er war nicht mehr zufrieden. Das Gras auf der anderen Seite des Ufers war viel grüner als bei ihnen. 

Er wollte mehr als das, was er bisher hatte. Das kleine Kaninchen war zu wenig, es konnte ihn nicht vollständig zufrieden stellen. Er wollte mehr Zeit mit anderen Wesen verbringen und weniger Zeit mit dem kleinen Kaninchen, denn er hatte plötzlich das Gefühl, es enge ihn ein und er könne nicht mehr atmen. Alles war ihm einfach zu viel. 

Das kleine Kaninchen verstand die Welt nicht mehr, denn es hatte ihn doch bei allem unterstützt, und nun war es sich nicht mehr sicher, ob das Eichhörnchen weiterhin Zeit mit ihr verbringen wollte? Einfach so, von heute auf morgen? Wie kann man solche Gefühle plötzlich entwickeln? Wie kann man immerzu so kalt und rücksichtslos zu ihr sein? Warum musste sie immerzu darunter leiden, wenn er nicht zufrieden war? War sie wirklich zu wenig, oder verlangte sie gar zu viel?

Sie wollte doch keine lässige Romanze – sie wollte doch mit ihrem Eichhörnchen eine dauerhafte und liebevolle Beziehung. Sie hatte so fest an die Schönheit der Liebe geglaubt.

Das Kaninchen verkroch sich wieder in ihrem Bau und gab dem Eichhörnchen seinen Freiraum. Es wollte ihm Zeit lassen, um wieder klar zu denken – egal wie sehr es sie auch schmerzte.

Um sich davon abzulenken, unterhielt sie sich oft mit ihrem Geschwisterchen, das zwar nur dann und wann vorbei sah, aber dennoch immer ein offenes Löffelchen für sie hatte. Sie traf sich auch wieder mit dem Einhorn und auch mit einem kleinen weißen Hund, sowie einem pummeligen und verschmusten Kater. Die drei gaben ihr den benötigten Halt und es gab nur wenige Tage, an denen sie sich wirklich einsam fühlte. 

Gerade mit dem Kater verbrachte sie viel Zeit und er wurde zu ihrem besten Freund. Hätte sie ihn nicht gehabt, so wäre sie wohl viel zu oft einsam und verlassen gewesen. Klar, auch unter Freunden ist nicht immer alles rosig, aber dank ihnen fühlte sie sich nicht mehr wertlos.

Sie erkannte, dass nicht die Zeit die Wunden heilen würde, sondern es die wahren Freunde sind, die ihr helfen zu vergessen, zu verarbeiten und zu heilen. Fühlte sie sich einsam, so schaute sie sich ihre Wunden an, die sie sich bei ihrem Fall zugezogen hatte. Sie fragte sich, wie sie dem Eichhörnchen einfach so verzeihen konnte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Es hatte ihr Band wie einen Schatz gehütet und nun saß es einsam und allein in ihrem Bau, weil das Eichhörnchen neuen Wind brauchte.

Das kleine Kaninchen spielte aus Langeweile und Verzweiflung an ihren alten wunden herum, bis eine dieser Wunden anfing zu bluten.

Ihr wurde klar, dass manche Wunden doch länger zum heilen bräuchten als gedacht. Es suchte Hilfe bei ihrem „treuen Wegbegleiter“ – dem Eichhörnchen – und war sich sicher, dass es dieses Mal anders laufen würde. Er würde sie nicht erneut im Stich lassen, denn er würde sich an sein Versprechen erinnern.

Leider wurde das kleine Kaninchen eines Besseren belehrt, denn als es beim Eichhörnchen um Hilfe suchte, erklärte er ihr kühl, dass dies ja sicherlich nicht sein Problem sei. Hätte sie nicht an der Wunde herumgespielt, wäre sie nicht aufgegangen. Er könne nicht immer ihr Held sein, er wäre nicht auf der Welt, um immer alles und jeden zu retten.

Er bräuchte nun dringend Ruhe und Abstand zu ihr, um erstmal wieder klar denken zu können. Mit einem kräftigen Sprung war das Eichhörnchen auf seinem Baum verschwunden und ließ das einsame, kleine Kaninchen verwundet und gebrochen allein.

Wochenlang hatte sie auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet, doch sie wurde immer wieder aufs Neue enttäuscht. Es fragte sich, warum das Eichhörnchen nun wieder so bitterkalt zu ihr sein musste. Sie überlegte lange, was sie ihm getan hatte, dass er ihr immerzu so weh tun müsse. Das kleine Kaninchen fühlte sich wieder wertlos und einsam. Es hatte das Gefühl, als ob nichts und niemand sie zu schätzen wüsste, dass niemand sehen würde, wie viel Mühe sie sich immerzu gibt. Sie wollte doch nur der perfekte Wegbegleiter für das Eichhörnchen sein.

Eines Nachts machte sich das kleine Kaninchen auf den Weg, um das Eichhörnchen zu suchen. Es wollte mit ihm Reden und seine Sichtweise verstehen. So begab es sich zum Baum des Eichhörnchens. Ihr war klar, dass sie den Baum nicht hinaufklettern konnte, aber es wollte auf keinen Fall aufgeben und so beschloss es, vor dem Baum zu ruhen und zu warten, bis das Eichhörnchen sich wieder auf den Weg machen würde.

Mit einem Auge abwechselnd auf, ruhte das Kaninchen die ganze Nacht vor dem Baum, ohne jeglichen Schutz vor der Kälte. Doch keine Spur vom Eichhörnchen – nur eine Ratte schlich sich am Kaninchen vorbei.

Was das kleine Kaninchen nicht wusste: die Ratte war ihr Eichhörnchen. Er hatte sie und auch den Rest getäuscht. Es wollte nicht mehr als feiges Geschöpf durch die Welt herumwandern. Es wollte doch einfach nur schnell, neugierig und lebensfroh sein und nicht immer den Schwanz einziehen, wenn es Angst bekam.
Es hatte sich jahrelang eingeredet, es müsse jemand anderes sein. Es müsste besser sein als alle anderen und es müsste der Beste sein. In seinem Leben war kein Platz für Schwäche und er dürfe sich auch nicht erlauben traurig zu sein, oder gar so etwas wie Angst zu fühlen. Wenn diese Gefühle doch ihn ihm aufstiegen, fühlte er sich machtlos und das konnte er keineswegs zulassen. Er könne doch nicht schwächer sein als ein kleines Kaninchen und sein Leben nach einem Kaninchen zu richten würde sowieso nie in Frage kommen. 

Wo käme man denn da hin? Er ist ein Eichhörnchen – auch dann, wenn er eigentlich eine Ratte ist.

Was spielte das denn für eine Rolle? Keiner würde es jemals annehmen, dass er eigentlich eine ängstliche Ratte ist. Er hatte doch Pläne – und nichts und niemand könne ihn aufhalten oder gar einschränken. Auch kein Kaninchen! Wären Sie füreinander bestimmt gewesen, dann wäre alles so einfach gewesen. Man hätte nicht stundenlang diskutieren müssen oder an etwas arbeiten müssen. Ja, er war faul – na und? Bis jetzt hatte er auch nie wirklich für etwas arbeiten müssen. Und dass das mit dem kleinen Kaninchen nicht funktioniert hat, lag wohl sicher nicht an ihm.

Auch wenn er sich noch stundenlang einreden würde, was für ein toller Prachtkerl er doch sei und dass er für den ganzen Schlamassel nicht verantwortlich war. In seinen Augen hatte sich die Ratte zu einem großartigen Eichhörnchen entwickelt. Doch nur weil es mit einem Pelz getarnt war, heißt das nicht, dass es auch die Eigenschaften einer Ratte verloren hatte. Wenn er sich irgendwann einmal wirklich mit sich auseinandersetzen würde und ehrlich zu sich selbst sein würde, würde er feststellen, dass es noch immer die feige Ratte ist, die sich immer dann verkroch, wenn es Angst hat und wenn es zu viel wird. Wenn sich das Eichhörnchen plötzlich als Ratte fühlte, musste jemand anderes herhalten, damit es sich wieder großartig fühlen konnte.

Das kleine Kaninchen hatte es jahrelang mitgemacht und die Fehler bei sich gesucht – doch im Gegensatz zur Ratte ist das Kaninchen mental gewachsen.

Nun gut – ihr stellt euch jetzt sicher die Frage, was schlussendlich aus dem kleinen Kaninchen wurde.

Irgendwann gab das kleine Kaninchen auf und ging zurück zu ihrem Bau. Es wollte schon anfangen, einen neuen Verschlag zu bauen. Doch bevor sie das Material beisammen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie einen Fehler begangen hatte. Es war zu unüberlegt, zu krampfhaft auf das Leben mit dem Eichhörnchen fixiert. Ihr wurde klar, dass man das Glück nicht erzwingen konnte. Sie musste erstmal mit sich selbst zufrieden sein, um wieder Freude finden zu können.

So schaute es sich und ihre Wunden an. Die wunden waren nicht schön, ihr Fell hatte immer mehr an Glanz verloren, aber dennoch war es mit sich selbst zufrieden.

Ja, das kleine Kaninchen war nicht perfekt – weder von außen noch von innen. Doch es war auf ihre ganz eigene Art wunderschön.

Ihr wurde klar, dass sie eine derartige Behandlung vom Eichhörnchen nicht verdient hatte. Das Eichhörnchen hatte sich nie wirklich um sie bemüht, egal um was es ging. Am Ende zog es immer nur den Schwanz ein und verschwand. 

Ihr wurde auch bewusst, dass sie nicht mehr länger heulend herumsitzen und warten möchte, bis sie gut genug für ihn war.

Sie wollte sich nicht mehr länger einreden, dass sie sich einfach nur noch mehr bemühen müsse, damit das Eichhörnchen zufrieden sei. Denn in Wahrheit wird das Eichhörnchen nie glücklich sein, es wird immer mehr wollen und nie mit dem zufrieden sein, was es hat.

Genauso wenig wird sie es erleben, dass das Eichhörnchen eingestehen wird, dass es einen Fehler begangen hat. Denn das Eichhörnchen war ja nie schuld. Niemand wird dem Eichhörnchen je gerecht werden können. Es wird immer etwas geben, was noch besser ist, als er schon hatte. 

Das kleine Kaninchen merkte plötzlich, wie vollkommen erschöpft und müde es war und ihr wurde klar, dass sie keine Kraft mehr hat, jemanden davon zu überzeugen, dass sie es nur gut gemeint hatte.

Es gab sich selbst ein Versprechen: es wolle ab sofort besser darauf achten, wem sie Ihr Herz verschenkt – denn letztendlich ist das Herz wie ein Buch.

„Manche dürfen einen Moment lang darin blättern, einige dürfen es sich für eine gewisse Zeit ausleihen – und nur ganz wenigen schenkt man es.“

Auch wenn es heute, morgen, übermorgen und vielleicht auch überübermorgen noch schmerzen wird, hatte sie erkannt, dass sie nie wieder so behandelt werden möchte. Ihr wurde klar, dass das Eichhörnchen froh hätte sein können, dass es in seinem Leben war. Es hätte dieses Band zwischen ihnen so sehr schützen sollen. Wie einen Schatz, denn genau das war es eigentlich. Ein viel wertvollerer Schatz, als es auf seinen Abenteuern je finden könnte.

Plötzlich fühlte sich das kleine Kaninchen nicht mehr schwach und wertlos… Ja, sie hatte ihre Ecken und Kanten, doch das heißt nicht, dass jeder auf ihr herumtrampeln könne wie er will.

Auch wenn es das Eichhörnchen heute noch nicht merkt, irgendwann wird er es bereuen, dass er dieses starke Band zwischen Ihnen vollständig kaputt gemacht hat. Doch dann wird es zu spät sein…

… das ist jedoch eine andere Geschichte 🙊

In einer Welt, in der nichts so scheint wie es ist, und in der man alles ersetzen kann, sollte man sich gut überlegen, ob man einen Diamanten wegwerfen sollte, nur damit man ein paar Wochen mit Steinen spielen kann.

Merk dir eins: lerne das, was du hast zu schätzen und zu lieben, bevor die Zeit dir beibringt, zu vermissen, was du hattest.

Eines Tages ist es zu spät, wenn du erkennst, dass das, was du hättest haben können, nicht mehr für dich greifbar sein wird, weil du es hast gehen lassen, ohne zu wissen, dass es alles war, was du haben wolltest und gebraucht hättest, um glücklich zu sein.

ENDE

2 Kommentare

  1. Nicole 2020

    Schöner Anfang 😘

  2. Uli aka "ulinator" 2020

    Da sitze ich und bin sprachlos! Eben noch klickte ich mich durch die ungeöffneten Schätze meiner Homezone, finde dort einen Verweis auf diesen Ort und finde hier dieses kleine Juwel.
    Ich glaube, da muss man nicht allzu viel interpretieren, um zu erkennen, dass du mit dieser Geschichte die Tür zu deiner Seele weit geöffnet hast.
    Auch ich kenne so manches Kaninchen und kann wunderbar mitfühlen. Das war wohl der Magic Moment des heutigen Tages. Dankeschön!
    Uli aka „ulinator“

    PS: tolle Bilder. Als ich letztes Jahr meine Wanderleidenschaft entfacht habe, konnte ich ebenfalls viele tolle Plätze meiner Heimat entdecken, die ich selbst als Geocacher nicht kannte.

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